Tagträume

Die surrealen Bilder des Künstlers Erdo Sam

Von Martin Oswald

Die surrealen Bilder Erdo Sams bewegen sich im Zwischenreich von Abstraktion und Figuration. Erdo Sam folgt damit einem romantischen Impuls, der sich anarchische Ausflüge in das Reich des Fantastischen erlaubt und zugleich Raum lässt für die freien Assoziationen der Betrachter. Es sind Bilder, die vom gleichen Freiheitsdrang beseelt sind, der Erdo Sams Werk insgesamt prägt. Aus Schlieren, amöbenhaften Einzellern ähnelnd, und den Spuren frühen Lebens entwickelt Erdo Sam seine Bildkompositionen. Sie sind Grafik und große Malerei zugleich. Ausgehend von fraktalen Formen, entspringt die Genesis der Bilder einem Impetus, der der Entstehung des Lebens gleicht.


Die Farben sind antinaturalistisch und verleihen dem Bildlicht ein außerirdisch anmutendes Wesen. Erdo Sam folgt dabei intuitiv einem Prinzip der mittelalterlichen Mystiker: Die Farbe dient auch hier dazu, das Licht des Lebens zu veranschaulichen, hinter dem sich das wahrhaft Seiende verbirgt. Erdo Sam deckt damit in seinen Bildern den metaphysischen Charakter der Dinge auf. Denn alles, einschließlich der Geschöpfe unserer Erde, ist ein großes Gemälde und ein Spiegel unseres Seins. Um nichts anderes ging es schon dem niederländischen Maler Hieronymus Bosch (um 1450 – 1515), der in seinen visionären Bildpanoramen die Hölle auf Erden in grotesken Szenen voller Figuren und Fabelwesen nachstellte: Die Welt als abgründiger Ort der Versuchung. In den Bildern Erdo Sams finden sich verwandte Details. Genauso wie an der Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit empfindet die Menschheit die Gegenwart als dystopischen Umbruch. Und so wagt Erdo Sam den Blick in die Tiefe jenseits oberflächlicher Schönheit: Er widersetzt sich geradezu einer tradierten Ästhetik des Schönen und Geschönten, seine Kunst will nicht anbiedernd gefällig sein, sondern einschlagen in unsere Seele wie ein Meteorit. Dennoch dürfen wir das Ergebnis zugleich als durchaus „schön“ im klassischen Sinne begreifen. Schön auf einer tieferen und höheren Ebene zugleich. Erdo Sam leistet dies mit malerischen Mitteln, die auf der Leinwand eine ganze Welt von Seele kulminieren lässt, angesiedelt zwischen hoffnungsfrohem Licht der Morgenfrühe, Wehmut, sonnenbelichteter Ferne und verzweifeltem Durchbrechen geübter Konventionen. Naturgemäß verwischt dabei die Grenze zwischen Kunst und Realität, die fließenden Übergänge sind Teil des Kalküls.


Tatsächlich folgen die surrealen Bilder des Erdo Sam keiner Konvention. Sie erlauben sich das Extatische, das sich auch in den raumgreifenden Farbexzessen der großen Abstraktionen findet, genauso wie in den amorphen Formen aus der Serie der Verbrannten Bilder. „Es gilt, den Kaffeesatz zu lesen“, bemerkt Erdo Sam in einem unserer Gespräche augenzwinkernd an. Damit folgt er einem surrealistischen Bildprinzip, das mit jenen freien Assoziationen spielt, die sich aus der Betrachtung der Bildspuren ergeben: Die Bilder sind reich an Mikroformen, die unser Auge in ständiger Bewegung halten. Ihr sensualistischer Reiz ist unerschöpflich. Der Zusammenklang von scheinbar Pflanzlichem, Amorphem und Figurativem ergibt ein Gefüge, das in uns geradezu halluzinatorisch weiterlebt. Dennoch sind die Werke keine Zufallsgefüge, sondern entspringen einer gestalterischen Absicht, deren Syntax aus fraktalen Gebilden und figurativen Akteuren eine Komposition mit einer ambitionierten künstlerischen Botschaft entstehen lässt.  Vieles ist dabei einer Art „écriture automatique“ geschuldet, einem „automatischen Schreiben“, einem unmittelbaren Ins-Bild-Setzen, das vieles der Intuition verdankt. Erdo Sam bekennt selbst: „Ich schöpfe aus dem Ozean der emotionalen Intelligenz. Als Künstler fließt meine Seele in das Werk hinein“. Malen bedeutet für ihn Eintauchen in ein Meer, „doch das Meer ist mehr als seine Oberfläche“, also die rational erfassbare Welt. Es geht um Tiefe, Tektonik, Universum. Um ein emotionales Hinabtauchen. Um eine Suche nach dem letzten Grund, wissend, dass es immer bei der Suche bleibt.


Tatsächlich kommen bei Erdo Sam solche Überlegungen nicht von Ungefähr. Erdo Sam ist nicht nur Maler, sondern auch studierter Linguist, der sich eingehend mit dem Gebiet der Semiotik, der Lehre von den Zeichen und Symbolen, befasst und darüber nachdenkt, wie Emotionen überhaupt künstlerisch zum Ausdruck kommen können. Welcher Ingredienzien bedarf es dazu? Welchen Formeln folgen jene, die von ihnen leben, die sie produzieren? Nicht ohne Grund verwendet auch die Werbung oft surrealistische Effekte. Dazu gehört die Verrätselung des Raums, die traumartige Verteilung verschiedener, verschlüsselter Elemente und schließlich eine benennbare Beziehung zur Realität. Doch das allein erklärt noch nicht alles. In der Bildenden Kunst bedarf es einer weiteren Komponente, die sich nicht berechnen lässt: Der persönlichen emotionalen Beteiligung des Künstlers selbst. Dieser Funke muss spürbar werden, gleichsam überspringen. Erdo Sams surreale Bilder ähneln Tagträumen. Was wir als Betrachter aufnehmen, ist das Gefühl eines Traums vom besseren Leben, das hier in allen Sphären des Bildgeschehens vom Künstler zum existentiellen Prinzip erhoben wird. Das folgende Zitat des Philosophen Ernst Bloch (1885 -1977) trifft besonders gut das Anliegen des Künstlers: „Es ist nicht die Zeit, wunschlos zu sein, die Entbehrenden denken auch gar nicht daran. Sie träumen davon, wie die Redensart heißt, bei Tag und bei Nacht“. Von Ernst Bloch stammt die Schrift „Widerstand und Friede“, er wurde später mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt. Erdo Sam erhielt im Jahre 1995 zusammen mit einer Gruppe engagierter Bürger als erster den Friedenspreis der Stadt Würzburg. Seine Werke sind eine immerwährende Botschaft für die Wahrhaftigkeit des Gefühls und die Sehnsucht nach Freiheit und Frieden zugleich.


Gemalte Emotionen diesseits und jenseits der Materie

Das farbplastische Welttheater des Universalkünstlers Erdo Sam  



 

Von Martin Oswald

Der reiche künstlerische Kosmos von Erdo Sam lebt von einer höchst barocken Haltung. Seine großformatigen Bilder voller Schlieren und anarchischer Farbverläufe, die an die Marmorierung von Altären erinnern, drängen geradezu in den Raum. Sie wollen sich fortpflanzen, himmelwärts, nach außen, über den Bildrand hinaus, es sind dynamische Farbstürme, die bewegt von wildem Gestus, weiterziehen wollen, über den Rahmen hinaus. Die Wölbungen, reliefartigen Windungen und Faltungen stülpen sich bald tatsächlich nach außen, verlassen den traditionellen Bildraum, greifen fast nach dem Betrachter, genauso wie manche gemalte Figur, die sich in den barocken Fresken als Plastik fortsetzt. Gestus und Farbigkeit sind betörend. Die Würzburger Residenz mit Giovanni Battista Tiepolos viel bewundertem Werk, dem Deckengemälde im barocken Treppenhaus, ist das beste historische Beispiel dafür. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Erdo Sam ausgerechnet in dieser fränkischen Stadt am Main seine dauerhafte Heimat fand, in die er in jungen Jahren gekommen ist. Sie hat ihn nicht mehr losgelassen. Hier entstehen seine Werke. Jetzt reisen seine Bilder um die Welt.


Dieser Weg des Erfolgs ist die fast schon logische Folge einer Entgrenzung, die auch Erdo Sam in seiner Bildwelt sucht. Wie das Faltentuch von Gewändern, das seine Träger unter sich vereint und körperliche Widersprüche überwindet, so lässt sich in dieser Malerei beobachten, wie eine überbordende und zugleich überschwängliche Oberfläche zur Autonomie strebt, hinaus- und heraustritt, das Werk fast hinter sich lassend sich ins Unendliche fortsetzt und aufbricht zu einer Art geistigem Abenteuer. Es ist eine Kunst jenseits üblicher Strukturen. Das entspringt dem unendlichen Freiheitsdrang dieses Künstlers, der sich nicht damit begnügt, den endlichen Raum zu reproduzieren, sondern, der jenseits der Materie und der malerischen Illusion, jenseits des Augenspiels etwas Drittes einführt: Die Elemente. Wie das Wasser und seine Sprudel und Flüsse, wie das Licht und das Lodern der Flammen, der Himmel und seine luftigen Wolkenarabesken, die Erde und ihre gewundenen Höhlen, so entfalten sich auch die Bilder und werden zur Skulptur im von ihnen bald beherrschten Raum. Das erinnert an die kräftige und seinerzeit revolutionäre Malkunst eines El Greco und zugleich an Berninis Standbild Ludwigs des XIV. vor dem Schloss von Versailles, wo der Herrscher in einem vom Wind heftig bewegten Mantel den Elementen widersteht. Wie das Wasser, wenn es die nasse Kleidung an den Körper schmiegt und dadurch dessen Nacktheit erst enthüllt, so decouvrieren die körperhaften Oberflächen der Bild-Raum-Gemälde des Künstlers Erdo Sam für den sensiblen Betrachter einen höchst sublimen und geradezu spürbaren Eros. Die Werke sind im wahrsten Sinne des Wortes: eine Augenweide. Die Rezepturen dieser besonderen Gemälde sind wie Drapierungen eines Stilllebens, das alle Sinne anspricht. Die Möglichkeiten, frei zu assoziieren, sind in Anbetracht dieser Werke unbegrenzt. Es ist ein All-Over im besten Sinne dessen, was deren Erfinder in der Kunst der Moderne einst damit meinten: Ein freies, hierarchieloses Improvisieren ohne Vorgaben. Unendlich fortsetzbar in Raum und Zeit.


Vom Material war noch gar nicht die Rede, wiewohl es sich als Agens der Werke durchaus in den Vordergrund spielt. Das Extremgesetz der Materie bedeutet hier ein Maximum an Materie, das sein Bedürfnis nach Ausdehnung nicht verleugnet. Mehr noch, es ist ihm eingeschrieben wie ein Gesetz. Die Materie hat die Tendenz, den Raum zu verlassen, wie so oft beim Trompe-l`oeil, egal ob im Barock oder bei den hier behandelten Werken; dies bedeutet nicht nur Entfaltung nach außen, sondern Extension in die Entgrenzung. Erdo Sams ungegenständliche Malerei, die selbst zum unendlichen Gegenstand wird, versteht sich so als totale Kunst, die sich raumzeitlich verlängert.

 So wird Erdo Sams Kunst zu einem polychromen Universaltheater. Die bewegenden – und damit fast schon bewegten – Bilder, sind wie handelnde Personen, die uns zum Tanz auffordern durch eine Welt, die sich selbst kaum fassen lässt und uns zugleich eine Bewegung nahelegt, die sich vom Linearen weg hin zum Verschlungenen wendet. Mäandrierend eröffnen auch die Bilder neue Perspektiven und vielleicht nur so entsteht jenes geistige Potenzial, das uns das, was wir glauben, entgleiten zu sehen, neu erfassen und einrichten lässt. Es ist eine informelle Malerei, die über das Informel der klassischen Moderne hinausgeht, ohne selbst fertige Formeln liefern zu wollen. Es ist eine Kunst „zwischen den Künsten“ mit einem durchaus performativen Charakter, eine Kunst, die uns Zuschauer nicht kalt lässt. Diese Kunst bewegt, sie bezieht uns ein ins Geschehen. Eine solche Malerei, die sich ins Plastische steigert, ist auf dem Weg, sich zu weiten im Raum, sich zu öffnen für das Totaltheater der Architektur. Diese Beobachtung kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich besitzt der Künstler eine hohe Affinität zur Architektur, ist Anreger und Baumeister zugleich, er ist ein Universalkünstler der Moderne. Es bedarf dazu in der Bildwelt des Künstlers keines concetto, vielmehr einer aus der Freiheit geborenen Intuition, eines gekonnten Wurfs der Würfel aus Farben und Formen. Dies entspringt einer erfahrenen und zugleich jugendlichen künstlerischen Seele, die sich jedes Mal von Neuem erspürt, die in sich hineinhorcht und auskunftsbereit uns, das Publikum ins Geschehen miteinbezieht. Es ist eine Kunst, die ihre Betrachter mit einem eigenen Kosmos beschenkt: der Leidenschaft gelebter Emotionen. Selten zuvor verstand es ein Künstler, seinem großartigen Freiheitsprojekt einen solch gewaltigen, dabei zugleich zeitgemäßen und vielschichtigen künstlerischen Ausdruck zu verleihen.

 

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